Schatten-Bilder / Licht-Bilder

Kreise aus Licht

Scheint das Licht der Sonne durch das Blätterdach eines Baums, dann zeichnet es oft runde oder ovale Lichtflecken auf den schattigen Waldboden. Bewegt der Wind die Äste des Baums, dann schwingen diese Sonnentaler hin und her. Hier und da blinkt ein neuer Sonnentaler auf oder verlöscht. Aber immer behalten die Sonnentaler ihre Form. Kreisrund sind die Sonnentaler, wenn die Sonne im Zenit steht. Neigt sich die Sonne dem Horizont zu, dann strecken sich die Sonnentaler zu Ellipsen. Unter hohen Buchen erreichen sie die Größe eines Kopfes, unter Buschwerk sind sie klein wie Geldstücke.
Wie kommen die Sonnentaler zustande? Ganz sicher sind es nicht die Lücken zwischen den Blättern, die sich hier abzeichnen, denn diese Lücken nehmen alle möglichen Formen ein- und sie verändern ihre Form beim kleinsten Windhauch.
Zu Beginn des 17. Jahrhunderts schreibt der Astronom Johannes Kepler über die Sonnentaler: „Von der wundersamen Erscheinung dieser Sache angezogen, haben sich die Alten um die Erforschung der Ursache Mühe gegeben. Aber ich habe bisher noch keinen gefunden, der eine richtige Erklärung gefunden hätte (Grundlagen der geometrischen Optik 1604)
Eine 11- jährige Schülerin erklärte die Sonnentaler so: „Die Sonne hat soviel Macht, dass sie ihre eigene Form und nicht die der Blätter auf den Waldboden zeichnet.“
Mit dieser Erklärung hat sie den Kern des Problems getroffen. Es ist die Form der Sonne, die sich hier auf den Waldboden zeichnet. Das wusste schon Aristoteles im 3. Jahrhundert vor Christus. Er beschreibt, dass bei einer partiellen Sonnenfinsternis, wenn die Sonne als Sichel zu sehen ist, auch die Lichtflecken auf dem Waldboden sichelförmig sind.

Um die Sonnentaler zu verstehen, folgen wir einer Einsicht Keplers. Er erkannte wohl als Erster, dass wir die Sonne in Gedanken in einzelne leuchtende Punkte zerlegen können. Jeder dieser leuchtenden Punkte verteilt Licht in alle Richtungen. Ein kleiner Teil dieses Lichts fällt durch die Lücke zwischen den Blättern und zeichnet einen kleinen hellen Lichtfleck in Form der Blätterlücke auf den Waldboden. So entstehen unzählige gegeneinander versetzte Lichtflecken, die in ihrer Gesamtheit wie ein Mosaik die Form der Sonne nachzeichnen.
Wie mühsam die konsequente Anwendung der Vorstellung von geradlinigen Lichtstrahlen unseren optischen Vordenkern gefallen ist, erkennen wir aus Keplers Worten:
„Mir ist vor mehreren Jahren aus den Dunkelheiten des Aristoteles und Pisanus ein Licht aufgeblitzt. Da ich nämlich den so sehr dunklen Sinn der Worte nicht entnehmen konnte, nahm ich meine Zuflucht zur eigenen Anschauung in der Körperlichkeit. Ich brachte in der Höhe ein Buch an, das die Stelle des leuchtenden Körpers vertrat. Zwischen diesem und dem Erdboden wurde eine Tafel mit einem vieleckigen Loch befestigt; darauf wurde ein Faden von einer Ecke des Buchs durch das Loch nach dem Erdboden hinabgelassen und derart auf dem Erdboden hin und her geführt, dass er die Ränder des Lochs streifte. Seinen Verlauf auf dem Erdboden zeichnete ich mit Kreide nach, wodurch ich auf dem Erdboden eine dem Loch ähnliche Figur erhielt. Dasselbe trat ein, wenn ich den Faden an der zweiten, dritten und vierten Ecke des Buchs anheftete und schließlich an unzähligen Punkten des Randes. Und so zeichnete die Reihe zahlloser zarter Abbildungen des Lochs die große und viereckige Figur des Buchs ab.“ (Grundlagen der geometrischen Optik 1604)

Abbildung einer Kerze mit einer Lochkamera.
Jeder Punkt der Kerze verteilt Licht in seiner Farbe in alle Richtungen. Ein kleiner Teil dieses Lichts fällt durch das Loch auf die Rückseite der Schachtel. Dort entsteht von jedem Punkt der Kerze ein kleiner Lichtfleck. Alle Lichtflecken zusammen ergeben wie ein Mosaik ein Bild der Kerze. Es steht auf dem Kopf, weil die Lichtbündel sich im Loch kreuzen.

Zweitausend  Jahre lang versuchten die größten Denker verschiedener Kulturen, das Geheimnis der Sonnentaler zu lüften. Im 5. Jahrhundert vor Christus war es der chinesische Philosoph Mo Ti, der, angeregt durch die Sonnentaler, mit den umgekehrten Bildern experimentierte, die das Licht beim Durchgang durch kleine Löcher erzeugt.
Aristoteles (4. Jh. v. Chr.) stellte in verschiedenen Stellen seiner philosophischen Werke die Frage nach der entstehung der Sonnentaler- ohne  befriedigende Lösung. Der geniale arabische Naturforscher Alhazen experimentierte im 10. Jahrhundert n. Chr. mit mehreren Kerzen, deren Licht durch ein Loch fiel, um den Geheimnissen der Sonnentaler auf die Spur zu kommen. Im späten Mittelalter, als die vergessenen Werke des Aristoteles nach der Eroberung Konstantinopels in den neu gegründeten Universitäten studiert wurden, war die ungelöste Frage der Sonnentaler wieder ein zentrales Problem der Optik.

Was war der Beweggrund für all diese Anstrengungen? War es die Macht, die dem Abbilden schon immer innewohnt? Diese Macht, die wir erahnen beim Anblick der Höhlenbilder von Lasceaux oder den Götterbildern in den ägyptischen Pyramiden? Ähnlich wie im Mythos gelingt es im Bild, diffuse Ängste zu konkretisieren und  zu bannen. Vielleicht war es diese Faszination, die den Reiz der automatischen Abbildung im Sonnentaler- Phänomen ausmachte.

In der Renaissance wurde das Sonnentaler-Phänomen instrumentalisiert. Leonardo das Vinci (1452 – 1519) schrieb in seinem Codex atlanticus: „Wenn die Fassade eines Gebäudes oder ein Platz oder eine Landschaft von der Sonne beleuchtet wird, und man bringt auf der gegenüberliegenden Seite in der Wand einer nicht von der Sonne getroffenen Wohnung ewin kleines Löchlein an, so werden alle erleuchteten Gegenstände ihr Bild durch die Öffnung senden und werden umgekehrt erscheinen“

Als Zeichenhilfe wurde die camera obscura (dunkle Kammer) wohl zuerst von dem neapolitanischen Magier und Alchemisten Giovanni Battista della Porta (1538 – 1615) in seiner Magia naturalis beschrieben. Man sagt, dass er seine Gäste in eine riesige ‚camera‘ setzte, während draußen im Sonnenlicht eine Gruppe von Schauspielern agierte. Aber es heißt, dass die Ansicht der kopfüber hängenden bewegten Menschen von den Zuschauern als unheimliche Zauberei empfunden wurde. Schein und Sein, Realität und Abbild waren für sie nicht zu trennen. Voller Panik flohen sie, und della Porta wurde von der Inquisition der Hexerei beschuldigt.

Als Zeichen- und Messgerät wurde die Lochkamera seit Beginn des 16. Jahrhunderts von den Astronomen genutzt: Zum Schutz ihrer Augen untersuchten sie Sonnenfinsternisse in der Lochkamera-Abbildung. Johannes Kepler, der als Astronom mit dieser Methode vertraut war, bemerkte, dass das Sonnenbild im Verhältnis zum Mondschatten immer zu groß war. Diese Unstimmigkeit bewegte ihn dazu, dem Sonnentaler-Problem nachzugehen und führte ihn zu der heute noch gültigen Erklärung.

Die praktische Frucht seiner Bemühungen war eine tragbare Lochkamera. Seit Mitte des 17. Jahrhunderts nutzten viele Maler die Lochkamera  als Zeichenhilfe, darunter Canaletto, Vermeer und Reynolds. Meist wurde der Einsatz dieser Technik allerdings verschwiegen- wohl weil sie noch immer in verdächtiger Nähe zu Magie stand.

Ungefähr zur gleichen Zwei wurde die Lochkamera mit einer Linse versehen. Dadurch konnte die Öffnung vergrößert werden , das Bild wurde heller und schärfer.

In der Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden aus diesen ‚Linsencameras‘ die ersten Fotoapparate. Am Ende des 19. Jahrhunderts verschwanden aus den wissenschaftlichen Zeitschriften und Reiseberichten die letzten wort- und bilderreichen Beschreibungen von Phänomenen. Der Siegeszug der Fotografie ließ mit der Notwendigkeit auch die Fähigkeit präziser Beschreibungen verkümmern. So hat die Bereicherung, die wir mit der Instrumentalisierung des Sonnentaler- Phänomens im Fotoapparat erfahren haben, auch eine Schattenseite – die Verarmung der Sprachkultur.

Lichtstrahlen und Wolken: Perspektive

Sonnenstrahlen breiten sich wie ein riesiger Fächer über den Himmel. Aber nicht immer, wenn die Sonne scheint. Nur wenn Wolken da sind und zwischen ihnen Lücken, durch die das Sonnenlicht scheinen kann, kann man sie sehen. Und es ist Dunst nötig, der die Lichtbündel erst sichtbar macht. Insgesamt sind das Bedingungen, die nicht alle Tage auftreten.
Ein Rätsel stellt sich beim Betrachten der Sonnenstrahlen: Die Sonne ist sehr weit weg von der Erde. Das führt dazu, dass die Strahlen, die von der Sonne in unsere Atmosphäre gelangen (und dort durch den Dunst sichtbar werden) annähernd parallel sind.

Aber die am Himmel sichtbaren Sonnenstrahlen verlaufen keineswegs parallel. Sie strahlen sternförmig von der Sonne in alle Richtungen.
Wie löst sich dieser Widerspruch auf?
Das zeigen die Bilder 2 und 3 der Serie.

Die Schatten der Bäume verlaufen parallel zueinander genau wie die Reihen der Maisstoppel. Aber wie die Sonnenstrahlen sehen sie nicht parallel aus. Sie kommen auf uns zu. Das führt dazu, dass sie perspektivisch in der Ferne in ihrem Fluchtpunkt zusammenzulaufen scheinen, obwohl sie in Wirklichkeit parallel verlaufen. Genau wie die Sonnenstrahlen, die von der Sonne ausgesandt werden und durch das Weltall und unsere Atmosphäre auf uns zu kommen.
Dass sie uns nicht parallel erscheinen, liegt daran, dass wir auf die Strahlenfächer wie auf ein Bild schauen und bei der Interpretation dieses Bildes davon auszugehen geneigt sind, dass die Sonnenstrahlen sich quer zu unserer Blickrichtung ausbreiten. Diese Vorstellung ist falsch; die Sonnenstrahlen kommen eben auf uns zu. Mit etwas Mühe können wir das Bild umdeuten und erkennen, dass die Strahlen auf uns zu laufen wie Eisenbahnschienen.

Meist sieht man die Sonnenstrahlen in der näheren Umgebung der Sonne. Oft, wenn die Sonne sich dem Horizont schon nähert. Das liegt daran, dass beim Blick in die Umgebung der Sonne (a) viel mehr Dunstteilchen ihr Licht in unsere Augen streuen als beim Blick quer zum Lichtbündel (b).

In seltenen Fällen sehen wir aber auch Sonnenstrahlen in Gegenrichtung der Sonne wie in Bild 7 der Serie. Sie scheinen im Schatten unseres Kopfes zusammenzulaufen. Der Blick zu unserem Kopfschatten verläuft genau parallel zu den Sonnenstrahlen. So wie Eisenbahnschienen in zwei Blickrichtungen perspektivisch zusammenlaufen, laufen auch die Sonnenstrahlen in der Sonne und im Gegenpunkt der Sonne- unserem Kopfschatten- perspektivisch zusammen.

Auch hier sind Strahlen zu sehen, die im Schatten des Kopfes zusammen laufen. Die Wasseroberfläche ist leicht gewellt. Die gewölbten Teile der Wellen wirken wie Sammellinsen, die das Licht bündeln. So entstehen etwa 20 cm  lange Lichtbündel, die sich von der Wasseroberfläche aus nach unten erstrecken und parallel zueinander in Richtung der Sonnenstrahlen verlaufen.  Diese Lichtbündel werden durch das trübe Wasser sichtbar gemacht und scheinen – genau wie die Strahlenbündel in der Atmosphäre vom vorigen Bild- im Kopfschatten zusammenzulaufen.

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